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Säkularität, Säkularisierung,
Säkularisation, Laizismus

© Gerhard Czermak 2016

 

Die verschiedenen Begriffe, die mit „säkular“ gleich weltlich im Gegensatz zu „religiös geprägt“ sowie mit „laizistisch“ zusammenhängen, bedeuten Unterschiedliches. Sie werden aber gern vermengt und bedürfen der Klärung.

  1. Säkularität des Staats

Säkularität ist ein Kennzeichen des modernen Staats, der sich als Resultat jahrhundertelanger auch blutiger Auseinandersetzungen nicht mehr religiös definiert. Er ist auch eine wesentliche Folge der allmählichen Verweltlichung (Säkularisierung) aller Lebensbereiche seit dem Beginn der europäischen Neuzeit. Der säkulare Staat hat ausschließlich innerweltliche Zielsetzungen. Auch im Grundsatz säkulare westliche Staaten weisen recht unterschiedliche Ausformungen ihres theoretischen und praktischen Verhältnisses von Staat und Religion/Weltanschauung auf. Meist genießen Religionsgemeinschaften, speziell die christlichen Kirchen, trotz Garantie persönlicher Religionsfreiheit auch rechtlich deutliche Vorteile. Das wird gern, aber jedenfalls in pluralistischen Staaten unzutreffend damit begründet, allein aus innerweltlichen Gründen der Integration und Nützlichkeit für die Gesellschaft sei speziell Religion bei ihrem äußeren Wirken zu unterstützen.

  1. Säkularisierung und Säkularisation

Immer wieder werden „Säkularisierung“ und „Säkularisation“ leider synonym gebraucht Säkularisierung ist seit der beginnenden Neuzeit die zentrale Entwicklungslinie im Verhältnis von Religion und Gesellschaft. Gemeint ist der vielschichtige Prozess des allmählichen Bedeutungsverlustes insbesondere der organisierten Religion in allen Lebensbereichen. Anders ausgedrückt bedeutet Säkularisierung die Verweltlichung im Sinn von individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Loslösung aus speziell kirchlichen Bindungen, kurz, die Emanzipierung aus kirchlicher Vormundschaft. Darüber hinaus meint Säkularisierung auch das Streben nach innerweltlicher Erkenntnis der Wirklichkeit ohne religiöse Begründung. Besonders die katholische Kirche hat der Säkularisierung, auch im naturwissenschaftlichen Bereich, bekanntlich großen Widerstand entgegengebracht. Heute ist Religion gegen alle Widerstände in Europa weitgehend ein gesellschaftlicher Teilbereich geworden und bedeutet nur teilweise den Motivationshintergrund für die jeweiligen Aktivitäten.

Während das hier skizzierte Verständnis von Säkularisierung neutral ist im Sinn eines kulturdiagnostischen Schlüsselbegriffs, wird der anhaltende historische Prozess der Säkularisierung von traditionellen kirchlichen Kreisen als Verfallserscheinung gewertet. Man sieht nur – in Reaktion auf die Kirchen- und Religionskritik – den Abfall von der gottgegebenen Ordnung und spricht abwertend von Säkularismus. Eine solche Diesseitskultur wird gern mit einem Verfall von Sittlichkeit gleichgesetzt. Geschichtsblind hat man sogar die großen politischen Katastrophen des 20. Jh. der metaphysischen Entwurzelung angelastet, obwohl Nationalsozialismus und Kommunismus „politische Religionen“ sind. Demgegenüber wurde und wird Säkularisierung auch als Fortschrittskategorie verstanden. Dass Säkularisierung zumindest in Deutschland und vergleichbaren Ländern ein irreversibler Prozess ist, wird insbesondere angesichts der vielfältigen Erscheinungen immer neuer Religiosität unter dem Stichwort der Wiederkehr der Religion o.ä. bestritten. Die Tatsachen (Glaubensverluste, Mitgliederverluste) sprechen für Irreversibilität unter der Voraussetzung von Frieden und freiheitlicher Demokratie.

Damit ist der Sonderaspekt der Selbstsäkularisierung der christlichen Religion angesprochen. Die Heils- und Gnadenanstalt Kirche erodiert zu einer karitativen und rituellen Dienstleistungsorganisation, letzteres für die „Schwachstellen“ des Lebens, hat etwa der Kirchensoziologe Michael Ebertz erklärt. Die Geistlichkeit flüchtet sich in Ethik, Sozialarbeit und Pastoralpsychologie. Dazu schrieb der katholische Verfassungsrechtler Josef Isensee schon 1991: „Obwohl die Kirchen bisher nahezu unangefochten ihre Stellung in der Öffentlichkeit bewahrt haben, beschränken sie sich zunehmend darauf, konsensfähige Botschaften, Appelle zu sozialer Gerechtigkeit, Entwicklungshilfe, Umweltschutz, zu erheben, indes ihr religiöses Wirken sich außerhalb der Öffentlichkeit vollzieht, Öffentlichkeit geradezu scheut, wie wenn sich Religion zu genieren hätte.“ Er schrieb weiter: „Das Kirchenvolk schrumpft von innen her.“ Wenn man gesellschaftliche Erscheinungen der christlichen Welt in weltlicher, nichtreligiöser Form fortleben sieht, spricht man von Säkularisat. So wird in der säkularen Begründung der Menschenrechte vielfach ein säkularisiertes, aber originär christliches Denken gesehen. Dabei werden aber Ursache und Wirkung verwechselt. Säkularisation liegt auf einer ganz anderen Ebene. Gemeint ist nach richtigem Begriffsverständnis der Einzelvorgang der Umwandlung (Enteignung) kirchlichen Vermögens in Vermögen weltlicher Herrschaft. Zur Reformationszeit gab es zahlreiche Säkularisationen. Meist gemeint ist speziell die große Säkularisation von 1803 in Deutschland anlässlich der Auflösung des alten Deutschen Reichs durch den sog. Reichsdeputationshauptschluss (RDHS). Das Wort „säkularisiert“ umfasst übrigens beide Bedeutungen: das Ergebnis des Säkularisierungsprozesses wie die Enteignung religiösen Vermögens.

Die umfassende deutsche Säkularisation von 1803 muss noch heute als fragwürdige historische Legitimation für Staatsleistungen an die großen Kirchen herhalten. Nachdem Kaiser und Reich 2001 das linke Rheinufer an Frankreich hatten abgeben müssen, wurden die Fürsten 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss entschädigt. Hauptsächlich wurden durch diese Verfassungsrevolution nahezu alle reichsunmittelbaren geistlichen Fürstentümer aufgehoben. Betroffen waren drei Kurfürstentümer, 19 Reichsbistümer und 44 Reichsabteien sowie 41 Reichsstädte. Ca. 10.000 km² geistlicher Herrschaften gingen als Annexion an weltliche Landesherren. Hinzu kam die Vermögens-Säkularisation als Sonderform staatlicher Enteignung, von der ca. 300 Abteien, Stifte und Klöster betroffen waren. Hauptnutznießer der S. waren Preußen, Baden, Württemberg und Bayern (fränkische und schwäbische Gebiete). Nach Abschluss aller Maßnahmen war die Zahl der ehemals über 1000 reichsunmittelbaren Territorien auf etwas über 30 Territorien reduziert. Der Untergang des „Römischen Reiches deutscher Nation“ 1806 war eine notwendige Folge des RDHS. Das hatte eine Entfeudalisierung des hohen Klerus zur Folge und war eine Basis für die innere Regeneration des deutschen Katholizismus. Umfangreiches Kirchengut wurde den Kirchen in späterer Zeit in Kombination mit staatlicher Förderung zurückgegeben Das örtliche Pfarrkirchenvermögen war den Kirchen ohnehin durch den RDHS garantiert.

  1. Laizismus und Laizität

Laizismus, ein Gegenbegriff zum Klerikalismus, zielt auf weitmögliche Abdrängung der religiösen Sphäre ins Private. „Laizismus“ leitet sich aus dem französischen „laicisme“ ab und bedeutet die Trennung des gesamten öffentlichen Lebens (Staat, Gesellschaft, Recht, Kultur) von Kirche und Religion. Die laizistische Bewegung trat in den meisten katholischen Ländern auf und führte in Frankreich zum (abgesehen von den drei östlichen Departements) ziemlich konsequenten Trennungsgesetz von 1905. Das geschah nicht ohne Grund (Vorgeschichte: Syllabus errorum Pius’ IX., 1864; Unfehlbarkeitsdogma und Jurisdiktionsprimat, 1870; entwürdigendes römische Judenghetto als letztes in Europa, ebenfalls bis 1870; Dreyfus-Affäre). Der ideologische Charakter der laizistischen Gesetze wurde in Frankreich allmählich abgemildert. Man sprach nicht mehr von „laicisme“, sondern von „laicité“, der Laizität des Staats. Der Staat enthält sich der religiös-weltanschaulichen Fragen, wahrt dabei aber, ggf. wohlwollende, Unparteilichkeit gegenüber allen religiös-weltanschaulichen Richtungen. Eine so verstandene a-konfessionelle, aber nicht kirchenfeindliche Laizität unterscheidet sich nicht wesentlich von der (theoretischen) religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staats in Deutschland, wenngleich die Akzente in Deutschland und Frankreich nach wie vor unterschiedlich sind.

Vor allem dem Wort „Laizismus“, von dem das moderatere „Laizität“ abgeleitet ist, haftet in Deutschland ein besonderer Geruch der Kirchenfeindlichkeit an. „Laizismus“ wirkt auf Konservative als Schreckgespenst und wird von ihnen als Schimpfwort benutzt. Es bedeutet, wie ausgeführt, in etwa auch rechtliche Zurückdrängung der Religion aus Staat und Gesellschaft. Diskussionsgegner, deren Sachargumente nicht gefallen, sollen von vorneherein mit diesem Kampfwort diskreditiert werden. Befürworter einer lediglich ernst genommenen religiös-weltanschaulichen Neutralität müssen damit rechnen, dass ihre konkreten Positionen als „laizistisch“ denunziert werden. Das gilt insbesondere auch dann, wenn diese Ansichten gut begründet sind. Dabei weiß jeder halbwegs Informierte, dass das GG gerade nicht laizistisch ist. Insbesondere geht auch der Vorwurf fehl, die Thesen des – seinerzeit von Kirchenleuten überaus gehässig angefeindeten — FDP-Kirchenpapiers von 1974 seien laizistisch. Der Jurist Erwin Fischer, der als konsequenter Verfechter der Trennung von Staat und Kirche bekannt war, hat Laizität vertreten, nicht Laizismus. Er war „laikal“. Mit dieser Verteidigung wurde er aber nicht gehört.

Die 2010 auf Bundesebene gegründete Arbeitsgemeinschaft „Laizistinnen und Laizisten in der SPD“ hat leider zunächst den Begriff Laizismus gewählt, obwohl sie die Kirchen nicht aus der Gesellschaft verdrängen will, sondern nur auf Neutralität und Abbau unberechtigter Privilegien zielt. Im Herbst 2016 hat sich die Arbeitsgemeinschaft daher in “Säkulare Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten” umbenannt. Sie vertritt nach wie vor Positionen der Laizität, wie vergleichbare Vereinigungen anderer politischer Parteien auch. Abschließend kann man empfehlen, konkrete Begründungen zu verlangen, wenn der Laizismus-Vorwurf erhoben wird, und die Positionen kritisch zu vergleichen. Die Begriffe sollten überlegt verwendet und die Ausdrücke „laizistisch“ oder „Laizismus“ vermieden werden, wenn sie (wie meist) sachlich gar nicht zutreffen.

Gerhard Czermak, 4.10.2016  
Hinweis der Redaktion: Der in geringfügig anderer Form am 7. 10. 2016 im Humanistischen Pressedienst (hpd) veröffentlichte Text basiert auf mehreren Artikeln des vom Autor verfassten Lexikons Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht, 2009 (amazon Review). Der Autor ist auch Verfasser von Weltanschauung in Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit, 2016 (zum Artikel im hpd) (jeweils Alibri) sowie des religionskritischen Bandes Problemfall Religion, Tectum 2014 (zum Tectum Verlag) .