Plädoyer für einen atheistisch-
naturalistischen Humanismus
© Jochen Beck 2012
Grundlegende Klärung
Der Begriff Humanismus verkörpert das große Ideal von der Selbstverwirklichung jedes Menschen als vernunftbegabtes und mitfühlendes Wesen. Dieses Ideal muss nicht notwendigerweise mit Atheismus verknüpft werden, aber nach unserer Auffassung ist ein säkularer Humanismus konsequenter als ein religiöser Humanismus. Säkularer Humanismus ist ein Sammelbegriff aller Varianten des Humanismus, die mit einer Zurückweisung der Religionen einhergehen und Philosophie und Wissenschaft als ausreichende Basis einer Weltanschauung betrachten. Säkularer Humanismus ist nicht ausschließlich atheistisch, denn es gibt auch philosophisch begründete Gottesbilder. Er tritt hierbei in mehreren Varianten auf:
- Pantheismus
Die gesamte Natur ist Gott. Diese Auffassung wurde z.B. von Spinoza (1632 – 1677) vertreten. Sie wird auch Goethe und Einstein zugeschrieben. Da der Pantheismus keinen persönlichen Gott und kein individuelles Fortbestehen nach dem Tode kennt, wurden seine Vertreter oft des Atheismus bezichtigt.
- Deismus
Gott hat die Welt erschaffen, er greift aber nach der Schöpfung nicht mehr ins Geschehen ein, außer vielleicht um die unsterblichen Seelen der tugendhaften Menschen der Glückseligkeit zuzuführen. Der Deismus war charakteristisch für viele Vertreter der Aufklärung im 18. Jahrhundert wie Voltaire, Lessing, Kant 1, und die maßgeblichen amerikanischen Gründerväter (Franklin, Jefferson, Washington, Adams und Thomas Paine).
- Agnostizismus
Die Existenz Gottes wird weder vertreten noch entschieden abgestritten. Religion spielt aber im Leben der Betreffenden keine Rolle. Als Agnostiker bekannten sich z.B. David Hume (1711−1776), Charles Darwin (1809−1882), Bertrand Russel (1872−1970) und Karl Popper (1902−1994).
- Atheismus
Die Annahme der Nichtexistenz wird betont, Religion mitunter als überwiegend schädlich angesehen. Atheisten gab es bereits unter den französischen Aufklärern (Lametrie). Weitere Beispiele sind Feuerbach und Marx.
Kant verband „Deismus“ nur mit der Beschränkung Gottes auf die Schöpfung. Gott als Wesen mit Wunsch und Willen war für ihn „Theismus“. Einen Offenbarungsglauben wies er aber zurück. Die philosophische Begründung eines Gottesbildes war stark von den „klassischen Gottesbeweisen“ abhängig. Mit der Destruktion der Gottesbeweise durch Kant (1724−1804) und Hume und der Haltlosigkeit anderer Begründungskonzepte (Kants „Postulat der praktischen Vernunft“, Rousseau durch Gefühl und Instinkt) wurde die Gotteshypothese obsolet, da man den Existenznachweis als ausschlaggebend für die Sinnhaftigkeit von Existenzbehauptungen betrachtet. Säkulare Humanisten der letzten 200 Jahre waren deshalb in der Regel Atheisten oder Agnostiker.
- Naturalismus
Jedes Ereignis gilt als durch Naturgesetze bedingt, es gibt kein Eingreifen metaphysischer Wesen. Nur die Existenz von Materie und Energie wird angenommen. Die Formulierung von Aussagen über das „Sein“ ist Aufgabe der Wissenschaft. Diese wird durch die Philosophie (Logik, Erkenntnislehre) unterstützt. „Geist“ und „Seele“ sind Konstruktionsleistungen des Gehirns.
- Evolutionärer Humanismus
Der der von der Giordano-Bruno-Stiftung vertretene Humanismus wird als Evolutionärer Humanismus bezeichnet. Manchmal wird die Bezeichnung Naturalistischer Humanismus bevorzugt. Zur Abgrenzung von älteren Varianten und Stufen wird auch der Begriff „Neuer Humanismus“ verwendet. - Leitkultur Humanismus und Aufklärung
Als Leitkultur für unsere Gesellschaft wird aber nicht speziell der Evolutionäre Humanismus, sondern Aufklärung und Humanismus allgemein betrachtet. Im Folgenden wird zuerst das Konzept der Leitkultur Humanismus und Aufklärung erläutert an- schließend wird der Evolutionäre Humanismus vorgestellt. Unter „Aufklärung“ versteht man die geistesgeschichtliche Epoche Europas von etwa 1670 bis 1804. Zu ihren Vertretern gehören u. a. Spinoza, Pufendorf, John Locke, Voltaire, Montesquieu, Diderot, Rousseau (mit Einschränkung), David Hume und Immanuel Kant. Besonders berühmt ist Kants Begriffsbestimmung in seinem Aufsatz:
Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ [1784]:
- Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde
- Postulierung unveräußerlicher Menschenrechte
- Das Demokratiegebot
- Das Rechtsstaatsprinzip
- Das Sozialstaatsprinzip
Gründe für den Atheismus:
- Sparsamkeitsprinzip des rationalen Denkens
Genau wie Darwin und Popper es für sich persönlich entschieden (beide waren Agnostiker) lehnt der Evolutionäre Humanismus die theistisch-religiöse Position ab. Das erkenntnis- theoretische Prinzip der Denkökonomie (Ockham‘s Rasiermesser) zur Prüfung von Behauptungen markiert die Grenze zwischen Vernunft und Aberglaube.Wenn für den gleichen Sachverhalt mehrere verschiedene Erklärungen verfügbar sind, ist diejenige zu bevorzugen die im geringerem Masse von ungeprüften Behauptungen abhängt. Die Gotteshypothese fällt hiernach grundsätzlich gegen alle natürlichen Erklärungen durch. Existenzbehauptungen können im Gegensatz zu Theorien bestenfalls bewiesen und nie widerlegt werden. Metaphysische (unüberprüfbare) Existenzbehauptungen gehören deshalb generell der Sphäre des Aberglaubens an. Die Nichtbeachtung dieser Regel hat einst dem Aberglauben Tür und Tor geöffnet. Es gibt keinen Grund die Existenz Gottes gegenüber den anderen metaphysischen Existenzbehauptungen (Götter, Teufel, Dämonen) die einst bedeutsam waren auf Dauer zu privilegieren und als einzige beizubehalten. Die Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes gilt damit als zwingender Verwerfungsgrund.
- Theodizee:
Ein weiterer Grund für die atheistische Position ist das Theodizeeproblem, die Unverträglichkeit der Allmacht und Allgütigkeit Gottes mit dem Leid in der Welt. Grundsätzlich ist die Vorstellung einer ungeschaffenen natürlichen Welt die mit den Naturgesetzen ausgestattet ist, durch welche unter anderem dieses Universum hervorgebracht wurde, eleganter als die Behauptung der Existenz einer zusätzlichen Wesenheit, welche die natürliche Welt aus dem Nichts erschuf. Das Weltbild des Evolutionären Humanismus ist demnach der Naturalismus, das heißt jedes Ereignis ist durch Naturgesetze bedingt, es gibt kein Eingreifen metaphysischer Wesen. „Alles geht mit rechten Dingen zu.“
- Religionskritik:
Der Evolutionäre Humanismus sieht auch die Existenz des Gottes der Monotheistischen Religionen nicht als wünschenswert an, da die Heiligen Schriften derselben zutiefst inhuman sind. Die humanistische Ausdeutung der heiligen Schriften gemäß dem aufgeklärten Zeitgeist ist ohne jede intellektuelle Redlichkeit und geht meist mit willkürlicher Beliebigkeitsauslegung einher. Moderne liberale Theologie scheint auch nicht zukunftsfähig zu sein, da eher fundamentalistische Glaubensrichtungen an Bedeutung gewinnen. Daher der Grundsatz:
Begründung evolutionär –
humanistischer Ethik
Zehn „Angebote“ des
Evolutionären Humanismus
- Diene weder fremden noch heimischen „Göttern“, sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid in der Welt zu mindern!
- Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!
- Habe keine Angst vor Autoritäten, sondern den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu be- dienen!
- Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten – es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen!
- Befreie dich von der Unart des Moralisierens! Trage dazu bei, dass die katastrophalen Be- dingungen aufgehoben werden, unter denen Menschen heute verkümmern, und du wirst er- staunt sein, von welch freundlicher, kreativer und liebenswerter Seite sich die vermeintliche „Bestie“ Homo sapiens zeigen kann.
- Immunisiere dich nicht gegen Kritik! Ehrliche Kritik ist ein Geschenk, dass du nicht abweisen solltest.
- Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher! Zweifle aber auch am Zweifel! Selbst wenn unser Wissen stets begrenzt und vorläufig ist, solltest du entschieden für das eintreten, von dem du überzeugt bist. Sei dabei aber jederzeit offen für bessere Argumente, denn nur so wird es dir gelingen, den schmalen Grat jenseits von Dogmatismus und Beliebigkeit zu meistern.
- Überwinde die Neigung zur Traditionsblindheit, indem du dich gründlich nach allen Seiten hin informierst, bevor du eine Entscheidung triffst!
- Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben!
- Stelle dein Leben in den Dienst einer „größeren Sache“, werde Teil der Tradition derer, die die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort machen woll(t)en! Eine solche Haltung ist nicht nur ethisch vernünftig, sondern auch das beste Rezept für eine sinnerfüllte Existenz.
Literatur:
Michael Schmidt-Salomon
- Manifest des Evolutionären Humanismus
- Jenseits von Gut und Böse
- Leibniz war kein Butterkeks
- Anleitung zum Seligsein
Bertrand Russel
- Philosophie des Abendlandes
- Warum ich kein Christ bin
- Der Darwin-Code
- Die Materie und ihre Schatten
- Entzauberte Welt
- Das Hedonistische Manifest
- Der neue Humanismus – Wissenschaftl. Menschenbild und säkulare Ethik
- Denn sie wissen nicht, was sie glauben – Oder warum man redlicher Weise nicht mehr Christ sein kann.
- Evolutionäre Erkenntnistheorie
- Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde
- Traktat über kritische Vernunft
- Das Elend der Theologie
- Josef Ratzingers Rettung des Christentums
- Weltlicher Humanismus
- Schatten über Europa
- Die Kunst des Liebens